Donnerstag, 13. August 2020

Apologia pro vita sua V: Die Zeit von Kardinal Groër

Hier veröffentliche ich erstmal meinen Briefwechsel mit Kardinal Groër, der einer der wichtigsten Zeugen sowohl der guten Erfahrungen als auch der Mißhandlugen war, die mir in Wien zuteil geworden sind.

Den Anfang meiner Bekanntschaft mit ihm habe ich bereits erwähnt. Durch ihn bin ich in Wien Priester geworden, nicht weil ich mir Wien oder gerade diesen Bischof ausgesucht hätte, sondern weil es offenbar eine göttliche Fügung war. Ich bringe hier die Korrespondenz, die bei mir erhalten blieb. Meine Schreiben beginnen erst mit Herbst 1994, als ich mir meinen ersten Komputer anschaffte und somit Briefe speichern konnte. Vorher dachte nicht daran, Kopien zu machen und zu archivieren. Deshalb bringe ich aus dieser Periode nur seine Briefe. Sie bezeugen sein Wohlwollen und die Fürsorge, ohne die ich in Wien nicht gelandet und geblieben wäre.

Es begann in der Zeit, als ich noch Frater in St. Gabriel war. Der Kardinal war zum 100-Jahre-Jubiläum des Missionshauses eingeladen und hielt dort die Festmesse. Im Vorfeld hörte ich immer wieder Schimpftiraden über ihn und seinen Weihbischof Krenn, weil beide für die Modernisten, die in St. Gabriel das Sagen hatten, zu konservativ, zu papsttreu und quasi ein rotes Tuch waren. Daraufhin wagte ich, dem Kardinal zu schreiben, um meine Verbundenheit mit ihm zum Ausdruck zu bringen. Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten.





Seit Februar 1990 wohnte ich im Erzbischöflichen Priesterseminar in Wien, zuerst nur als Gast, und begann mit dem Studium an der Universität Wien.




Seit Herbst 1990 war ich offiziell Seminarist für die Erzdiözese Wien. 




Ab September 1991 wurde ich für das Studienjahr zum Pfarrpraktikum in die Pfarre Allerheiligen (Wien 20.) entsandt. Für die Entscheidung ist der damalige Generalvikar Rudolf Trpin verantwortlich, zusammen mit dem Regens Franz Fischer, der allerdings weniger zu sagen hatte. Da gab es leider Schwierigkeit, da der Pfarrer von mir verlangte, dass ich die Kommunion auf die Hand empfange. Da ich dazu nicht bereit war, verbot er mir das Ministrieren und wollte, dass ich in eine andere Pfarre gehe. Das sagte ich dem Regens, es wurde aber entschieden, dass ich dort bleibe. 



Im Juni 1992 schloss ich das Studium der Fachtheologie und der Selbständigen Religionspädagogik an der Universität Wien mit dem Magistertitel ab. Im Sommer erfuhr ich, dass ich ab September in eine andere Pfarre zum weiteren Praktikum entsandt werde. Der neue Regens Dr. Leopold Matthias, der dem damaligen neuen Weihbischof Schönborn nahe stand, teilte mir das mit. Es stand die Frage an, ob und wann ich geweiht werde. Der Kardinal war dafür, dass ich geweiht werde und das eher bald, und er setzte sich durch. Die Gegenseite dachte sich dafür einen Trick aus, dass ich nämlich vom modernistischen Weihbischof Krätzl zum Diakon geweiht werde, und zwar an einem Extra-Termin, der für einen Redemptoristen im Dezember 1992 geplant war. Ich fand mich damit ab, obwohl ich es mir anders vorstellte. Wichtig war, dass es keine Einsprüche gegen meine Weihe und somit Inkardination gab, wie mir der Regens selbst sagte. 
In der Pfarre Neusimmering war ich eigentlich zufrieden, bis auf die Schwierigkeiten in der Schule, über die ich bereits im vorherigen Teil schrieb. So wurde ich am 26. Juni 1993 im Stephansdom zum Priester geweiht. Bevor ich ab September die Kaplansstelle antrat, bezeugte der Kardinal mehrmals sein Wohlwollen. 






Das Problem war, dass Personalentscheidungen über pfarrliche Besetzungen der Generalvikar traf. Dieser dachte sich eine weitere Schikane aus. Zwar galt die Pfarre Jedlesee, am Stadtrand Wiens, als relativ eher konservativ, aber nur relativ. Zwar gab es noch gute Früchte aus der Zeit des früheren Pfarrers, eines Redemptoristen, der eher konservativ, fromm und marianisch war (den Namen weiß ich jetzt nicht mehr). Der aktuelle Pfarrer war ein Ungar, der zuvor lange nur Landpfarrer war. So war der Wechsel nach Wien für ihn eine Aufwertung. Zugleich gehörten zur Pfarre einige Laienmitarbeiter des Erzbischöflichen Ordinariats auf wichtigen Posten (Herr Stich, aus dem Personalreferat, wenn ich mich nicht täusche). Einer von ihnen rühmte sich mir gegenüber, dass seine Familie seit Jahrzehnten, noch seit der Zeit von Pius Parsch, der "liturgischen Bewegung" nahe stünde und somit gegen das Alte sei. In dieser Konstellation war es für mich sehr schwierig, wobei ich zunächst nicht viel Ahnung hatte. Um es kurz zu sagen: Der Pfarrer stand de facto unter modernistischen eingebildeten Laien. Zudem hatte er nie einen jungen Kaplan, weder vor mir noch nach mir. Dies hatte auch seinen Grund. Leider erst im Nachhinein sagte mir der Kardinal selbst, es sei bekannt, dass Pfarrer Schwarcz homosexuell sei. Das ist wohl die wichtigste Erklärung dafür, dass er gegenüber den Modernisten aus dem Ordinariat sehr fügig war. Erst nach Jahren erfuhr ich zufällig, dass er unter Kardinal Schönborn den Ehrentitel "Monsignore" erhielt. Übrigens ebenso wie Pfarrer Friedrich Koren aus der Pfarre Allerheligen in Wien, der mir die Handkommunion aufzwingen wollte. 
Mein Anteil an den Schwierigkeiten bestand darin, dass ich den rechtlichen Rahmen des Novus Ordo  ausnutzte, um möglichst viel von der überlieferten Liturgie herüber zu retten. So betete ich nur den Römischen Kanon und bemühte mich, den Gläubigen das Knieen bei der Kommunion zu ermöglichen, ohne sie dazu zu zwingen. Das war natürlich ein rotes Tuch für die Modernisten. Ich betone, dass ich mich stets und immer an den rechtlichen Rahmen des Novus Ordo hielt. Somit hatten die Feinde keine rechtliche Handhabe gegen mich. Deshalb konnte man sich nur nebulöser Vorwürfe oder schlicht haltloser Verleumdungen bedienen. Die Taktik dauert übrigens weiterhin an, wie ich noch darlegen werde. 
So war ich nur zwei Monate in Jedlesee. Der Pfarrer verlangte meine Versetzung und er setzte sich durch. 



Die nächste Idee von Generalvikar Trpin war die Pfarre Rudolfsheim (Wien 15.), bei dem früheren Regens Fischer, der mich ins Priesterseminar aufgenommen hatte, ein alter Vertrauter des Kardinals. Man hoffte nicht nur, dass ich besser mit ihm auskomme (was auch geschah), sondern dass ich mich eher beuge. Mit anderen Worten: Das war als die letzte Chance für mich gedacht. Natürlich blieb ich der Linie treu, denn ich tat nichts Falsches oder Böses, und bewegte mich stets im rechtlichen Rahmen des Novus Ordo. Die Gegenseite war ebenso natürlich verärgert und gab ihre Schikanen nicht auf. Pfarrer Fischer hoffte, mich zumindest ein wenig umerziehen zu können. Er wurde ja damit wohl beauftragt. Er sagte mir direkt, was er von mir erwartete: Ich sollte auch andere Hochgebete verwenden und Ministrantinnen akzeptieren, denn sonst wäre ich ihm ungehorsam und - wörtlich - "päpstlicher als der Papst". Darauf sagte ich: Wenn das die Vorwürfe gegen mich sind, dann kann darüber nur lachen. Er erwiderte, was mir gut in Erinnerung blieb: "Du wirst noch weinen". Es stellte sich dann heraus, dass es nicht bloß eine unüberlegte Drohung war, sondern ein Plan, der zwar nicht von Pfarrer Fischer stammte aber in den er involviert war. 





Angesicht des Scheiterns der Umerziehung durch Pfarrer Fischer war eine weitere Versetzung im Gange. Diesmal schien der Kardinal sich eingemischt zu haben und man schlug mir vor, nach Gaubitsch zu gehen, also in eine Landpfarrei ziemlich weit weg von Wien entfernt, die nie einen Kaplan hatte. Der Pfarrer war dort ein junger Priester aus Polen, der später berühmt gewordene Tadeusz Cichoń (es ging um Auflösung seiner Pfarre in Wien, die er zum Aufblühen gebracht hatte, denn die mühsam durch Spenden renovierte und ausgestattete Kirche wurde von Kardinal Schönborn den Orthodoxen Serben geschenkt, mehr hier). Ich kannte ihn vorher nicht. Im Vorfeld lobte ihn P. Ildefons, der ein Vertrauter der Kardinals und zugleich mein geistlicher Berater und Helfer war, dafür, dass die Pfarre viele Laienkommunionspender habe. Das machte mich misstrauisch, befolgte aber die Anweisung, den Pfarrer zu besuchen und mit ihm zu sprechen. Er war sehr freundlich. Ich schätze ihn weiterhin und wir haben nichts gegeneinander, wenn wir uns gelegentlich begegnen. Dennoch musste ich das Angebot ablehnen und dies aus folgenden Gründen, die ich dem Kardinal auch darlegte. Im vorigen Jahr, da ich außer hl. Messen, Beichten und Begräbnissen in der Seelsorge nichts zu tun hatte, befolgte ich den Rat des Betreuers meiner Magisterarbeit, Prof. Suttner, in Richtung Doktorat zu arbeiten. So besuchte ich die Vorlesungen und Seminare an der Uni, vorerst ohne offiziell Doktorand zu sein. Natürlich wäre ich bereit gewesen darauf zu verzichten, wenn mir eine ordentliche Aufgabe in der Seelsorge zugewiesen würde. Das war aber nicht der Fall, denn in Gaubitsch gab es nie einen Kaplan und Pfarrer Cichoń war bis dato immer allein. So war es für mich klar, dass es weiterhin darum geht, mich für modernistische Ideen und Praktiken zu erweichen. Dafür sprach der Lob für die vielen Laienkommunionspender. Deshalb befürchtete ich, dass es wiederum Ärger im liturgischen Bereich geben würde und zugleich - durch die Entfernung von Wien - die Fortsetzung meines Studiums praktisch unmöglich wäre (in Gaubitsch gibt es nicht mal eine Bahnstation und ich hatte damals kein Auto, ich konnte es mir auch nicht leisten). So wandte ich mich an Pfarrer Herbert Kraus in Kaltenleutgeben, zwar außerhalb Wiens, aber viel näher und gut angebunden. Ich wusste von ihm, dass er kein Feind der liturgischen Tradition ist. Er nahm mich freundlich auf, obwohl die Pfarre nie einen Kaplan hatte. Ich hatte dort nur ein kleines feuchtes Zimmer direkt an der Küche der Pfarrers. Zur Toilette musste ich in den Pfarrsaal gehen und ich hatte nicht einmal eine Dusche, sondern musste das Badezimmer in der Wohnung des Pfarrers benutzen. Sonst musste ich mich auch selbst versorgen. Das Wichtigste war jedoch für mich, dass ich liturgisch zu keinen Missbräuchen gedrängt wurde. Ich hatte nur an drei Tagen in der Woche eine Pfarrmesse, sonst konnte ich privat zelebrieren und das in der überlieferten Liturgie. Ich hatte vor, möglichst bald die Seminare für das Promotionsstudium zu absolvieren und dann eine Entscheidung über meinen weiteren Weg zu fällen. 




So war das Verhältnis zwischen Kardinal Groër und mir nicht mehr so herzlich. Zwar wusste ich über sein Wohlwollen und ich wollte es nicht enttäuschen, zugleich sah ich mich nicht verstanden. Etwas unrealistisch stellte ich mir vor und wünschte mir, dass der Kardinal eindeutig und unerschrocken zu Wahrheit und Gerechtigkeit steht. Er dagegen erwartete von mir, dass ich liturgisch nicht an dem festhalte, was er für nicht so wichtig hielt. Es kamen Verleumdungen hinzu, die zum Ziel hatten, mich vor ihm anzuschwärzen (sie kamen wahrscheinlich vom Generalvikar Trpin und seinen Leuten).

Die Briefe bezeugen nicht Alles. Immer wieder besuchte ich den Kardinal, wenn er es wünschte oder ich ein Anliegen hatte. Es war sehr leicht, ihn zu sprechen, nämlich normalerweise zwei Mal pro Woche, denn er bot jeden Montag einen Priestersprechtag und jeden Mittwoch einen allgemeinen Sprechtag an, wo man als Priester ebenfalls immer kommen konnte. Das ist übrigens eines der vielen Kontraste gegenüber sowohl seinem Vorgänger im Amt des Erzbischofs als auch seinem Nachfolger. Es freute sich über jedes Gespräch, man war bei ihm immer willkommen, was immer man ihm vorbrachte. Einer der Mitbrüder im Priesteramt formulierte es so: "Ich kam von ihm niemals heraus, ohne gestärkt, ermutigt und aufgebaut zu sein." Das kann ich nur bestätigen, auch für die schwierigste Zeit im ersten Priesterjahr. Bei einem der Gespräche sagte er mir direkt im Sinne einer Entschuldigung dafür, nicht genug für mich getan zu haben (das zitiere ich wörtlich, weil es mir gut in Erinnerung blieb): "Rom ist schuld daran, denn man lässt meinen Vorgänger in der Erzdiözese wohnen. Mein Vorgänger macht mehr in der Erzdiözese als ich." Das erklärt Vieles, wenn nicht Alles.















Somit war ich entschlossen, mich auch offiziell an die überlieferte Liturgie zu binden. Das verdanke ich der Zeit in Kaltenleutgeben, wo ich meist privat zelebrierte und dafür das Missale Romanum von 1962 verwendete. Es war für mich klar, dass ich nichts Verbotenes tat, wollte aber eine offizielle Bestätigung dafür.

Zum Jahresende 1994 war ich mit einer Studienreise in Niederaltaich in Bayern und bei der Gelegenheit auch kurz im Priesterseminar der Petrusbruderschaft. Auf der Rückreise nach Österreich nahm mich der damalige Generalobere P. J. Bisig mit, wobei wir uns ausführlich unterhielten. Er erzählte mir u. a. über seine Kontakte zu Gläubigen in Polen, wo er bereits mehrmals war. Ich hörte einen Bedarf nach einem polnischen Priester heraus, der die Anhänger die überlieferten Liturgie dort betreuen würde. Das schien mir eine interessante Perspektive zu sein.









Ungefähr zeitgleich mit diesen Verhandlungen brach der Skandal um den Kardinal aus, nämlich nach seinem Fastenhirtenbrief (März 1995), wo er die Worte des Hl. Paulus zitierte, dass praktizierende Homosexuelle nicht in das Himmelreich kommen. Dies führte zur Annahme seines Rücktritts im September 1995 und zum Führungswechsel in der Erzdiözese Wien. Da ich zeitgleich ab September 1995 von der Erzdiözese beurlaubt war, um in der Petrusbruderschaft zu leben und zu arbeiten, wurde auch das Verhältnis zwischen dem Kardinal und mir deutlich entspannter. Ich behielt den Kontakt, was er auch erwartete. 















Das Leben und Wirken in der FSSP sah jedoch in Wirklichkeit ziemlich anders aus als erwartet. Vor allem hatte ich keine feste Aufgabe, bis auf Reisen nach Polen zu den Gläubigen, mit hl. Messen, Sakramentenspendung, Vorträgen und Exerzitien. In der Zeit verfasste ich ein Buch über die überlieferte Liturgie samt verwandten Themen, das gut aufgenommen wurde. Eigentlich entstand es als eine erweiterte Fassung eines Vortrags vom Dezember 1995 an der Katholischen Universität in Lublin. Die erste Hälfte des Jahres 1996 widmete ich hauptsächlich der Bearbeitung dieses Buches. Im Sommer wurde ich in das Haus der Petrusbruderschaft in Wien entsandt und konnte mich wieder dem Promotionsstudium widmen. In der ersten Hälfte des Jahres 1997 nahm ich ein neues Thema der Doktorarbeit an, das ich dann auch fertig stellen konnte (Bilderverteidigung bei Johannes von Damaskus). In Polen gab es keine Aussichten auf eine offizielle Seelsorge der FSSP, obwohl das ursprünglich mein Ziel war. Deshalb entschloss ich mich, die Zusammenarbeit zu beenden und in die Erzdiözese zurück zu kehren, um mich mit ganzer Kraft der Doktorarbeit zu widmen. Gespräche mit Erzbischof Schönborn schienen eine Ermutigung dazu zu sein (dem Thema werde ich einen weiteren Teil widmen, so Gott will).






Im Sommer 2000 wurde mir von Kardinal Schönborn angeboten, im Erzbischöflichen Palais zu wohnen. Da es meine unerträgliche Wohnsituation löste, fragte ich nicht nach dem Sinn und Zweck dieses Angebots (der Zweck wurde mir erst mit der Zeit deutlich, darüber mehr in einem weiteren Teil). Das Verhältnis zwischen beiden Kardinälen war alles andere als gut (auf Gründe muss ich hier nicht eingehen). Mit der Zeit wurde dies für mich verständlich.



Als ich dann in München war, wollte ich ebenfalls ein Lebenszeichen geben, obwohl es dem Kardinal offenbar nicht leicht fiel, sich damit abzufinden, dass ich nicht mehr in der Erzdiözese Wien war.




Er hatte also stets ein Wohlwollen für mich. Zwei Monate später - am 24. März 2003, am Vorabend des Hochfestes Mariä Verkündigung, der Muttergottes, die er sein Leben lang besonders liebte und verehrte - verstarb der Kardinal nach langer Krankheit. Das ist das Bild, das er mir mit seinem letzten Brief sandte:



Requiescat in pace.

Apologia pro vita sua V: Die Zeit von Kardinal Groër

Hier veröffentliche ich erstmal meinen Briefwechsel mit Kardinal Groër, der einer der wichtigsten Zeugen sowohl der guten Erfahrungen als au...